Gesellschaftlicher Zusammenhalt- Allgemeine Dienstpflicht als sozialer Kitt?

Die Diskussion um eine allgemeine Dienstpflicht wird seit Jahren geführt, eigentlich seit der Aussetzung der Wehrpflicht und dem damit verbundenen Wegfall des Zivildienstes. Insbesondere durch die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die sich 2018 für die allgemeine Dienstpflicht aussprach, wurde die Debatte neu angestoßen. Neben der „allgemeinen Dienstpflicht“ gibt es noch weitere Begrifflichkeiten wie das „Gesellschaftsjahr“ oder das Soziale Pflichtjahr: Wie man es auch nennt, gemeint ist (mit unterschiedlichen Ausgestaltungen) die Einführung eines verpflichtenden Dienstes für junge Menschen über ein Jahr im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich oder der Bundeswehr.  

Befürworter versprechen sich von der Einführung etwa die Bekämpfung des Fachkräftemangels und führen an, dass eine allgemeine Dienstpflicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken würde. Insbesondere Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, die Debatte rund um das Pflichtjahr anzustoßen. Er sagte dazu: „Wir müssen neue Wege finden, um Entfremdung entgegenzuwirken. Wir brauchen Ideen, dass mehr Frauen und Männer mindestens einmal in ihrem Leben für eine gewisse Zeit aus ihrem gewohnten Umfeld herauskommen und sich den Sorgen ganz anderer Menschen widmen.“[1]

Ein Freiwilligendienst ist im Moment „arbeitsmarktneutral“ geregelt, das bedeutet, dass Freiwilligendienstleistende kein hauptberuflich Tätigen ersetzen, sondern nur unterstützende, zusätzliche Tätigkeiten verrichten dürfen. Auch im Rahmen eines verpflichtenden Jahres würde sich an dieser Regelung wahrscheinlich wenig ändern, da die Dienstleistenden ungelernte Kräfte sind - der Fachkräftemangel würde sich so wohl kaum lösen lassen. Dazu kommt, dass ein solcher „Zwangsdienst“, wie Kritiker ihn auch gerne nennen, in dieser Form wahrscheinlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wäre. Eine Grundgesetzänderung wäre zunächst erforderlich.  

Abgesehen von rechtlichen Aspekten, spielen dabei natürlich auch moralische Fragen eine Rolle: Hat der Staat das Recht, junge Menschen für ein Jahr zu verpflichten? Warum sollten nur junge Menschen einen Dienst absolvieren, warum stehen diese in einer besonderen Bringschuld für den gesellschaftlichen Zusammenhalt? Gerade, wenn junge Menschen in vielen anderen Bereichen doch kaum Beachtung finden?

Und natürlich schwingt dabei insgeheim ein Vorwurf mit: Gerade junge Menschen engagieren sich zu wenig! 

Heute machen rund 80 000 junge Menschen einen Freiwilligendienst, meistens direkt nach dem Schulabschluss. In meiner Arbeit mit jungen Menschen, sei es eben mit Freiwilligendienstleistenden oder Schülerinnen und Schülern, die sich in anderen Formen engagieren, beispielsweise in der Schülervertretung, kann ich auf jeden Fall feststellen: Auch heute schon engagieren sich junge Menschen (ganz freiwillig!) für eine aktive Zivilgesellschaft und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch heute schon kommen viele junge Menschen aus ihrem gewohnten Umfeld heraus und widmen sich den Sorgen ganz anderer Menschen- sei es im Rahmen eines Freiwilligendienstes oder im Ehrenamt.  

Anstatt der Einführung einer Dienstpflicht sollten wir zunächst über die Stärkung von Freiwilligendiensten, die immer wieder von Kürzungen im Bundeshaushalt bedroht sind, über mehr Wertschätzung für Freiwilligendienstleistende und wie man junge Menschen für mehr freiwilliges Engagement motivieren kann, ins Gespräch kommen. Denn freiwilliges Engagement bietet Raum für soziale Bildung, individuelle Entwicklung und (Berufs-)Orientierung. Für mich ist klar: Wir müssen mehr für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt tun, das ist aber Aufgabe der gesamten Zivilgesellschaft, nicht einzelner Gruppen! 

Auch wenn ich Herrn Steinmeier bezüglich der Einführung eines verpflichtenden Dienstes nicht zustimme, so begrüße ich doch sehr seine Aufforderung miteinander ins Gespräch und in die Diskussion um die Zukunft unseres gesellschaftlichen Zusammenhaltes zu kommen. Deswegen: Hinterlassen Sie gerne einen Kommentar, was Sie von der Einführung eines Pflichtjahrs halten!  

 


[1] Rede von Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier (bundesregierung.de) (8. November 2022)

 

 

Über die Autorin:

Julia Strodt ist im LWH Studienleiterin für politische Jugendbildung, Schüler*innenvertretungen und Berufs- und Studeinorientierung. Seit 2022 ist sie als Elternzeitvertretung im LWH. Mehr Informationen zu Frau Strodt finden Sie hier.