Schlüssel verloren?

Wenn Sprachförderung in Kitas wegfällt

Haben Sie auch schon einmal (zu spät) gemerkt, dass Sie Ihren Schlüssel nicht dabeihaben, die Tür aber fest verschlossen ist? Ziemlich ärgerlich! Ich muss gestehen, dass mir dies schon öfter passiert ist. Und immer in Situationen, in denen ich gedacht habe: „Das kann ich jetzt gar nicht gebrauchen!“ Diese Reaktion kennen Sie vermutlich von sich auch, wenn Sie einen Schlüssel vergessen oder verloren haben. Oder?

So kann ich die Sorge und den Unmut in vielen Kitas gerade sehr gut nachvollziehen. Sie verlieren für sie wichtige gewordene „Schlüssel“, die in der Arbeit mit den Kindern und ihren Familien in den letzten Jahren einen wertvollen Beitrag zum Erfüllen des Bildungs- und Erziehungsauftrags in den Kindertagesstätten für Kinder von null bis sechs Jahren geleistet haben. Zum 31.12.2022 laufen die beiden vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Bundesprogramme „Kita-Einstieg – Brücken bauen in frühe Bildung“ und „Sprach-Kitas – Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ leider (jeweils nach einmaliger Verlängerung) aus und werden aller Voraussicht nach aus Haushaltsgründen in 2023 nicht verlängert. Beides geschieht in der „Nach“-Corona-Zeit, wo die Erfahrungen während der Lockdowns und Stufenpläne noch nicht richtig aufgearbeitet werden konnten und in Zeiten des extremen Fachkräftemangels: „Und dann jetzt auch noch der Wegfall der gut implementierten Bundesprogramme? Bitte nicht!“[1]

Grundsätzliches Ziel beider Programme ist es, nachhaltig die Bildungschancen von Kindern zu unterstützen. Das Bundesprogramm „Sprachkitas – Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ (Ha! - Da ist sogar die bedeutende Funktion dieses Instrumentes im Titel!) setzt dabei auf die Themen alltagsintegrierte sprachliche Bildung, integrative Pädagogik und Zusammenarbeit mit den Familien sowie auf das Thema digitale Medien, welches in den letzten zwei Jahren hinzugekommen ist. An den ausgewählten Standorten gibt es zusätzlich zum vorgebenden Personalschlüssel eine Sprach-Fachkraft mit min. einer halben Stelle, welche zum einen ihre Kolleg*innen unterstützen soll und zum anderen selbst durch Sprach-Fachberatungen für ihre Aufgaben vorbereitet wird. Im Programm Kita-Einstieg geht es darum, allen Kindern möglichst den Zugang zu früher Bildung zu ermöglichen. Der Bildungsbericht 2016 hatte aufgezeigt, dass insbesondere Familien in bestimmten Lebenslagen Zugangshürden in den Einstieg in das Kita-Leben haben. Hierauf reagieren Fachkräfte im Projekt, indem sie mit individuellen Angeboten den Kita-Einstieg erleichtern: Von ersten Spielgruppen-Angeboten zur Kontaktaufnahme mit dem Bildungssystem bis zur Unterstützung bei der Kita-Anmeldung sind die erarbeiteten Unterstützungsmöglichkeiten genauso bunt, wie die Zielgruppen des Projekts.

In vielen Gesprächen mit Fachkräften, Leitungen und Trägervertretungen von Kitas habe ich in den letzten Jahren sehr viel Wertschätzung und Dankbarkeit für die Möglichkeiten, die die beiden Programme mit sich bringen, gehört. Viele konnten deutlich erleben und benennen, welche positiven Effekte für die Kinder und ihre Familien die Projektmitarbeiter*innen und zur Verfügung stehenden Ressourcen hatten. Eben wie ein Schlüssel, der eine sonst schwer aufzubekommende Tür scheinbar mühelos öffnen kann…

Aus meinen langjährigen Erfahrungen im Schlüsselverlegen oder -vergessen kann ich sagen, dass es natürlich immer Lösungen gibt, um wieder in die Wohnung, ins Haus oder ins Büro zu kommen: Vom Suchen und Wiederfinden, vom deponierten Schlüssel bei den Nachbarn oder der Familie (und ja, mein Bruder ist wirklich einmal 160 Kilometer im tiefsten Winter gefahren, nur um mir meinen Ersatzschlüssel meiner Studentenbude zu bringen), dem guten alten Scheckkarten-Trick, bis zum Kellerfenster einschlagen oder dem Rufen des Schlüsseldienstes war schon alles dabei. Neben der Dankbarkeit, irgendwie doch wieder an den Wunschort gelangt zu sein, blieb bei mir aber auch immer ein fader Beigeschmack: Wie viel Zeit und welche zusätzlichen Ressourcen hast du nun wieder gebraucht, nur weil du den Schlüssel vergessen hast?

So ähnlich wird es nun auch vermutlich den handelnden Personen an den Projektstandorten gehen. Wie können sie die Learnings aus den Programmen nun verstetigen, wenn die Projektmitarbeiter*innen und -mittel bald nicht mehr zur Verfügung stehen? Welcher Aufwand rechtfertigt welches Ergebnis? Und wie gehen sie damit um, dass auf der einen Seite die Ressourcen immer weniger werden und gleichzeitig auf der anderen Seite aber neue Ressourcen zur Lösung des Problems gebraucht werden? Das Unsicherheiten und Enttäuschungen auftreten, ist meiner Sicht nach ganz natürlich.

Wenn Sie mich fragen, gibt es aber auch gute Voraussetzungen, um mit den veränderten Bedingungen ab 2023 umzugehen. Ich erlebe immer wieder erstaunt, mit welchem Engagement und welcher Kreativität – und NEIN, ich spiele hier nicht auf das Klischee der Basteltanten und -onkel an! – pädagogische Fachkräfte in Kitas gute Lösungen für sich schnell verändernde Situationen finden, ohne dabei ihren Bildungsauftrag aus den Augen zu verlieren. Hier kann es auch eine Aufgabe für uns Fort- und Weiterbildungsträger in der Erwachsenenbildung geben: Mit unseren Seminaren und Veranstaltungen müssen wir weiterhin Orte und Gelegenheiten schaffen, um die wertvollen gemachten Erfahrungen, Erkenntnisse und Best-Practice-Modelle im Austausch lebendig zu halten und allen Einrichtungen – ob Projektstandort oder auch nicht – zugutekommen zu lassen.

Und so ganz mag ich die Hoffnung auch noch nicht aufgeben. Entweder darauf, dass doch noch Folgelösungen für die Programme gefunden werden und/oder das neue Programme aufgelegt werden, die die Bildungschancen für Kinder und damit die Zukunft unseres Landes stärken. So dass es stets die richtigen Schlüsse(l) gibt, um Türen und Schlösser für Kinder und ihre Familien nicht verschlossen zu halten.

 


[1] Zitat einer Kita-Leiteirn in einem Gespräch im August 2022.

Bildnachweis: pixabay.com
  

Über die Autorin:

Katharina Linnenschmidt ist Erziehungswissenschaftlerin und staatl. anerkannte Erzieherin und Studienleiterin für Frühpädagogik im LWH. Mehr Informationen zu Frau Linnenschmidt finden Sie hier.