Die Werte, für die das Grundgesetz stehe, seien schon früh von Ludwig Windthorst verkörpert und aktiv vertreten worden, wie Harbarth ausführte: „Windthorst trat Zeit seines Lebens für die persönliche Freiheit ein, die ihre Begrenzung am Recht des Mitmenschen und dem Gemeinwohl fand. Er setzte sich unermüdlich für die Sicherung staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit, den Ausbau des Förderalismus und die Zurückdrängung staatlicher Machtansprüche ein. Das Recht, insbesondere das Recht der Verfassung, betrachtete Ludwig Windthorst als seine schärfste Waffe. Er war als Katholik im Bismarckschen Preußen Teil einer benachteiligten Minderheit, was seine Einstellung zu Rechten von Minoritäten und seine Vorstellung von Gleichheit vor dem Gesetz prägte. Er bekämpfte zum Einen den aufkommenden Antisemitismus scharf, zum Anderen öffnete er die Zentrumspartei für Protestanten. Er engagierte sich aber ebenso im Widerstand gegen das Sozialistengesetz, mit Hilfe dessen Bismarck die Sozialdemokratie bekämpfen wollte.“ Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts brachte diese Einstellung mit dem Windthorst-Zitat, das er am 16. April 1880 in einer Reichstagsrede formuliert hatte, auf den Punkt: „Ich werde das Recht, welches ich für die katholische Kirche und deren Diener in Anspruch nehme, jederzeit vertreten. Auch für die Protestanten und nicht minder für die Juden – ich will eben das Recht für alle.“
Stephan Harbarth ging auch auf aktuelle Herausforderungen ein. Mit Sorge betrachte er, dass die Ablehnung des Grundgesetzes und unserer Staatsordnung im politischen und vorpolitischen Raum scheinbar zunehme. Grund hierfür, so wurde in der anschließenden von LWH-Akademiedirektor Marcel Speker moderierten Diskussionsrunde deutlich, könnten sowohl der wachsende Abstand zu den prägenden Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs als auch eine gewisse gesellschaftlich gefühlte Selbstverständlichkeit unserer politischen Stabilität sein. Es würden punktuell nicht die Errungenschaften, sondern die Nachteile der Demokratie in den Fokus genommen: „Zugespitzt, vielleicht auch überspitzt lässt sich formulieren: Demokratischer Diskurs wird als Zerstrittenheit, sachlicher Kompromiss als Zeichen von Schwäche und Prinzipienlosigkeit gedeutet. Andersdenkende mutieren zu Feinden. Die vordergründige Effizienz autoritärer Systeme erscheint manchen als Überlegenheit. Der Hinweis auf rechtliche Schranken als Bedenkenträgerei. Gerichtliche Kontrolle parlamentarischer Entscheidungen und Minderheitenschutz werden als undemokratisch gebrandmarkt. Deswegen ist es in solchen Zeiten besonders wichtig unser Grundgesetz zu erklären. Nur wer das Grundgesetz verstanden, wer es verinnerlicht hat, kann auch überzeugend dafür werben. Die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes ist wahrlich beeindruckend. War das Grundgesetz zu Beginn ein von Kritikern der ersten Stunde voreilig als ideenlos und oberflächlich bezeichneter Text, so wurde es über die Jahre mit Leben erfüllt. Es wurde zu einem Leuchtturm der Freiheit, der Demokratie, der Rechtstaatlichkeit und der Sozialstaatlichkeit.“
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts zeigte sich davon überzeugt, dass auch das Erreichte nach wie vor engagiert verteidigt werden müsse und eben nicht selbstverständlich sei: „Die Weimarer Republik ist nicht am Text der Weimarer Reichsverfassung gescheitert, sondern an einem Mangel an demokratischem, rechtstaatlichem, freiheitlichem Geist, vor allen Dingen der Eliten des Landes – in der Politik, in der Verwaltung, in der Wissenschaft, im Militär und auch in der Justiz. Wir werden mit dem Grundgesetz eine gute Zukunft haben, wenn in Zeiten, in denen die freiheitliche Demokratie von ihren Gegnern herausgefordert wird, genügend Menschen bereit sind, sich im Stile von Ludwig-Windthorst für Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit einzusetzen – und zwar mit Verstand, Ausdauer und Leidenschaft.“
Im Anschluss an Rede und Diskussionsrunde, dankte und ehrte Christian Fühner den ausgeschiedenen und langjährigen Vorstandsmitgliedern der Stiftung, Dr. Hermann Kues und Hermann Bröring. Kues hatte über viele Jahre die Stiftung als Vorsitzender geführt und repräsentiert. Bröring ordnete ebenfalls über viele Jahre die Finanzen.