Kompromisslos, statt konstruktiv

Wie Corona die Diskussionskultur verändert hat

„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, so äußerte sich Jens Spahn zu Beginn der Pandemie und genau so wird auch das angekündigte Buch des damaligen Gesundheitsministers heißen. Seine Vorahnung sollte wahr werden. Zu Beginn der Pandemie befolgte die Bevölkerung die Maßnahmen zur Eindämmung von Covid 19 wohlwollend – ja fast brav, würde ich sagen. Als Politikwissenschaftlerin fand ich es zu Beginn schon bedenklich mit welcher Gutgläubigkeit die Menschen Einschränkungen ihrer Grundrechte hinnahmen. Doch je länger die Einschränkungen anhielten, desto größer wurde der Widerstand dagegen. Die Bilder kennen Sie alle: Gehäkelte Masken auf Querdenker-Demos als Protest gegen die Maskenpflicht; „Nicht-Geimpft“-Aufkleber, die ganz bewusst an Judensterne erinnern sollten, um gegen eine vermeintliche Impfpflicht zu demonstrieren, die so nie geplant war oder auch der Wunsch nach Donald Trump als Erlöser, der uns von der Diktatur in Deutschland befreit. Eine amüsante, aber auch gefährliche Mischung, die sich dort tummelte.

Auf die Straße zu gehen, um gegen Unterdrückung zu protestieren oder seine Meinung deutlich zu machen, ist ein gutes demokratisches Instrument – das hat die deutsche Geschichte gezeigt. Aber die Behauptung der Querdenker-Demonstrant*innen sie leben in einer Diktatur und sie würden unterdrückt, ist allein deswegen schon absurd, da sie – wenn die Diktatur denn Realität wäre – bestimmt nicht so offen demonstrieren könnten und ihre Äußerungen nicht den Platz in der Berichterstattung eingenommen hätten, wie sie es getan haben. Mit dem Ziel der ausgewogenen Information, räumten Medien den „Meinungen“ der Querdenker nämlich sehr viel Platz ein. Sie stellten Außenseitermeinungen oder Absolvent*innen der YouTube-Universität gleichberechtigt mit ausgefeilten und überprüften wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen nebeneinander – ohne Einordnung oder Kommentierung. Dies führte dazu, dass Meinungen und „Ich hab da mal gelesen“ den gleichen Wert besaßen wie eine Arbeit, die alle wissenschaftlichen Kriterien erfüllt oder Recherchen, die auf gute journalistische Arbeit beruhten. Bei Auseinandersetzungen im privaten wie öffentlichen Raum, war dann der Aufschrei „Meine Meinungsfreiheit wird unterdrückt“ häufig nicht weit. Dabei galt während der Pandemie und gilt auch heute noch Folgendes: „Du darfst deine Meinung haben und äußern; du muss aber auch damit leben, dass ich dir widerspreche, wenn ich sie für Quatsch halte.“ Genau dieses Widersprechen jedoch wurde als Angriff auf die Meinungsfreiheit gewertet und Menschen zogen sich frustriert und enttäuscht zurück. Eine echte Debatte um berechtigte Einwände gegenüber den Maßnahmen, war so fast nicht zu führen.

Es entstand eine „Spaltung“ der Gesellschaft – so heißt es mittlerweile überall. Dabei ist Spaltung ein bewusster Kampfbegriff aus der rechten Querdenkerszene, den ich ungern weitertragen möchte. Was man allerdings feststellen kann ist Folgendes: Die Auseinandersetzungen über Impfen, Maske tragen, Kontakte reduzieren usw. fanden in jeder Familie statt. Da die Einschränkungen unser persönliches Leben unmittelbar betrafen, kam keine Familie, kein Freundeskreis um dieses Thema herum. Tiefe Gräben sind hier teilweise entstanden: Söhne, die nicht mehr mit ihren Müttern sprechen, da diese immer weiter in die Verschwörungsszene abgerutscht sind; Freunde, die sich nicht mehr sehen, weil der eine Angst um seine Gesundheit hat und der andere ganz bewusst Vorgaben zum regelmäßigen Testen oder zum Maske tragen ignoriert hat. Teilweise sind hier große Verletzungen entstanden. Die Absolutheit mit denen im Privaten Meinungen vorgetragen wurden, haben wir leider auch in der Politik erlebt. Es gab hier kein Grau, sondern nur Schwarz oder Weiß: Ausgangssperren sind das Mittel der Wahl – Ausgangssperren sind absoluter Quatsch – dazwischen passte kein Blatt. Bis es dann ein paar Wochen später genau umgekehrt zu hören war. Ein vorsichtiges „es könnte sein“ oder wir „probieren dies einmal aus“, gab es nicht – stets wurde eine Sicherheit ausgestrahlt, die es in Anbetracht dieser Pandemie einfach nicht geben konnte. Zu was hat dies geführt: Eine große Verunsicherung und Misstrauen gegenüber den politischen Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen. Hören Sie dazu auch gerne einmal in die Wochenserie der Ems-Vechte-Welle zum Thema rein.

In meiner Arbeit merke ich die Auswirkungen von Corona vor allem in Seminaren mit Jugendlichen: Nach 2 ½ Jahren ohne Klassenfahrten und viel Homeschooling bei gleichzeitiger Einschränkung der Freizeitmöglichkeiten, sind viele grundlegende Fähigkeiten bei den Jugendlichen in den Hintergrund gerückt. Grundsätzliches, wie Gespräche in Gruppen, Umgang mit Konflikten und das tatsächliche Zusammenarbeiten im gleichen Raum ohne den trennenden Bildschirm, muss wieder erlernt werden. Dies erfordert von mir und den Kolleg*innen besondere Sensibilität und eine andere Art von Programmplanung. Viel stärker als vorher, müssen wir die Lebensrealität berücksichtigen und einbeziehen.

Wir haben privat wie auch im öffentlichen Leben viel aufzuarbeiten – und dabei befinden wir uns mit dem Krieg in der Ukraine und die Auswirkungen auf unser tägliches Leben bereits mitten in der nächsten Krise, die unsere Aufmerksamkeit voll fordert.

Bildnachweis: Charles Deluvio auf Unsplash
  

Über die Autorin:

Veronika Schniederalbers ist Studienleiterin für politische Jugendbildung im LWH. Mehr Informationen zu Frau Schniederalbers finden Sie hier.