Akademieabend: Ist die Türkei noch ein verlässlicher Partner?

„Die Türkei ist zur Zeit kein verlässlicher Partner mehr“, lautete die Einschätzung des ehemaligen deutschen Botschafters in der Türkei, Martin Erdmann, beim Akademieabend im Ludwig-Windthorst-Haus, der in Kooperation und mit Unterstützung der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) stattfand. Dabei ging es vor knapp 50 Teilnehmenden insbesondere um die Frage, welche Rolle die Türkei in einer immer irrationaler werdenden Weltgemeinschaft einnimmt.

Erdmann wurde in seiner Amtszeit zwischen 2015 und 2020 von der Regierung von Recep Tayyip Erdogan rekordverdächtige 25mal einbestellt und gelangte so zu für einen Diplomaten ungewöhnlicher Popularität. Er kritisierte im LWH insbesondere die Blockade der Türkei bei der Aufnahme von Schweden und Finnland in die NATO und nannte weitere Beispiele und Konfliktpunkte, die die Türkei aus deutscher Perspektive als unverlässlich erscheinen ließen. Gleichzeitig sprach er auch über das „geopolitische Dilemma“, das die Türkei als unverzichtbaren, regionalen Stabilitätsfaktor aufgrund ihrer Lage zwischen Europa, dem nahen und dem mittleren Osten sowie Zentral-Asien für den Westen strategisch unverzichtbar mache. Auch, weil er darauf verwies, dass der Westen auf den „Tag danach“ – gemeint war nach Erdogan – vorbereitet sein müsse, mahnte er: „Wir dürfen die Türkei nicht fallenlassen!“ Der Diplomat räumte allerdings auch ein, dass die Frage der Zuverlässigkeit der Türkei aus der Perspektive der Wirtschaft möglicherweise auch anders beurteilt werden könne, als eben aus politischer Sicht.

Diese Annahme bestätigten in der anschließenden Podiumsdiskussion der ehemalige Geschäftsführer im türkischen Werk des Nutzfahrzeugherstellers Krone, Riza Akgün und der geschäftsführende Gesellschafter der I.P.O.-Consulting Group, Andreas Appeldorn, der aktuell in Izmir eine Produktion errichtet. Beide hoben die wirtschaftsfreundliche Atmosphäre auch für ausländische Investoren hervor. „Es gibt keine zwei Staaten auf der Welt, die so eng miteinander verflochten sind wie Deutschland und die Türkei“, hob Akgün hervor. Er betonte zudem: „Die Türkei ist nicht nur Erdogan.“ Das bestätigte auch Erdmann, der betonte: „Die Türkei ist eine durch und durch demokratische Gesellschaft.“ Auf eine Frage aus dem Publikum, wie offen der Ausgang der im kommenden Jahr stattfindenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sein werde, antwortete der ehemalige Spitzen-Diplomat: „Die Wahlen sind nicht fair, aber sie sind frei und geheim. Dass die Opposition ihre Chance haben wird, haben die Bürgermeisterwahlen in Ankara und Istanbul gezeigt, wo sich Oppositionskandidaten gegen die Kandidaten der Regierungspartei durchsetzen konnten.