Erasmus+ Erkenntnis aus Athen: Wissen wandert aus Griechenland ab

In Griechenland investieren Eltern sehr viel Geld in die schulische Bildung ihrer Kinder. Dadurch, dass sie dem staatlichen Schulwesen nicht vertrauen, besuchen viele Kinder und Jugendliche private Schulen oder private Nachhilfeorganisationen. Aber auch im Erwachsenenalter ist der Besuch von Sprachkursen nicht unüblich. Insbesondere das Erlernen von Sprachen wird als wichtige Qualifikation angesehen. Daher werden an den privaten Schulen oftmals bereits im Kindergarten oder in der Vorschule Angebote zum Erlernen von Fremdsprachen gemacht. In Griechenland ist Englisch die erste Fremdsprache gefolgt von Deutsch. An privaten Schulen kann hiervon abgewichen werden.

Erstaunt hat uns, dass täglich 100 Griechen nach Deutschland auswandern. Eine beachtliche Anzahl. Deutschland ist weiterhin das beliebteste Auswanderungsland für die griechische Bevölkerung. Hier wird deutlich, warum das Erlernen von Sprache so bedeutsam ist. Uns ist aufgefallen, dass sich in Athen viele Menschen in der englischen Sprache verständigen können. Egal, ob Kioskmitarbeitende oder Mitfahrende in der Metro: Alle konnten uns bei Orientierungslosigkeit aufgrund von z. B nicht vorhandenen griechischen Kenntnissen der Schrift helfen.

Dabei ist eine zirkuläre Migration nicht unüblich: Man wandert aus, kommt wieder zurück und migriert zu einem späteren Zeitpunkt wieder und so weiter. In der Regel kommen die Griechen spätestens im Rentenalter wieder zurück in die Heimat. Seniorenheime sind in Griechenland unüblich und das Altwerden im Kreise der Familie wird bevorzugt.

Für die Wirtschaft hat diese Abwanderungsbewegung erhebliche Folgen: Facharbeiter und Akademiker sind Mangelware, denn besonders die gut ausgebildeten Griechen wandern ab. Bei dieser Abwanderungsbewegung, die in nicht unerheblicher Anzahl stattfindet, spricht man von „Brain drain“.

Uns wurde berichtet, dass dieser Umstand ganz langsam vom griechischen Staat gesehen wird, es aber noch keine Initiative des Staates gibt, diesen Trend zu stoppen. Da der Besuch der Universitäten in Griechenland vom Staat finanziert wird, ist diese Entwicklung aus vielerlei Hinsicht bedenklich.

In der Schule führt die zirkuläre Migration dazu, dass die Frage nach der Muttersprache oftmals nicht klar zu beantworten ist. Einige Kinder wachsen beispielsweise in Deutschland auf und kommen zurück nach Griechenland. In Griechenland gibt es eine 9-jährige Schulpflicht. Es gibt kein paralleles Schulsystem wie in Deutschland, sondern ein Einheitssystem. Sehr erstaunt hat uns der Umstand, dass der überwiegende Teil der Schüler*innen die Schule bis zum Ende der 12. Klasse besuchen. Der Abschluss der 12. Klasse ist mit unserem Abitur vergleichbar und berechtigt zum Besuch der Universität und ist Voraussetzung für die berufliche Laufbahn im Staatsdienst. Auch die Müllabfuhr oder die Straßenreinigung sind Tätigkeiten im Staatsdienst. Der Straßenkehrer mit Abitur: Uns wurde mal wieder deutlich, wie wichtig die Sensibilität für kulturelle Besonderheiten ist und wie schnell wir doch zu (vorschnellen) Einordnungen in Schubladen neigen.