Status der Kirchen als Körperschaft öffentlichen Rechts: Nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten

Das deutsche Grundgesetz ist in diesem Jahr 75 geworden. Doch nach einem dreiviertel Jahrhundert leben wir heute in einer Zeit, „in der Grundwerte wie die Menschenwürde, Parlamentarismus und Föderalismus gefährdet erscheinen“, sagte der Präsident des Osnabrücker Landgerichts, Thomas Veen, jetzt bei einer Veranstaltung der Ludwig-Windthorst-Stiftung in Osnabrück. „Es ist unsere staatspolitische Pflicht, unsere Verfassung zu verteidigen“, sagte Veen, der auch Mitglied des niedersächsischen Staatsgerichtshofes, also des Verfassungsgerichtes des Landes, ist.

Zuvor hatte Osnabrücks Oberbürgermeisterin Katharina Pötter als stellvertretende Vorsitzende der Stiftung den 23. Mai, den Geburtstag des Grundgesetzes, als „wichtigsten Tag des Jahres“ bezeichnet. Mehr als 40 Gäste aus Politik, Kirche, Schulen und Gesellschaft waren der Einladung der Stiftung in die Berufsbildenden Schulen im Marienheim in Gut Sutthausen gefolgt.

„Wie viel Windthorst steckt in unserer Verfassung“, lautete die Leitfrage für Veens Vortrag. Vor allem bei drei Punkten sah der Jurist große Parallelen zum Denken und Wirken Windthorsts – und Handlungsbedarf für uns heute.

Windthorst war ein kämpferischer Parlamentarier. Er setzte sich „als Reaktion auf die autoritären Tendenzen Bismarcks“ für die Rechte des Parlamentes ein. Diese Rechte zu bewahren und zu stärken, sieht Veen als aktuelle Aufgabe an. So würden etwa durch Koalitionsausschüsse oder außerparlamentarische Verhandlungen mit Lobby-Gruppen „parlamentarische Verfahren zum Teil umgangen“. „Das Parlament darf sich nicht den Schneid abkaufen lassen“, sagte Veen. Gerade in der Corona-Pandemie seien die Parlamente mit dem Hinweis auf schnelle Entscheidungen oft umgangen worden. Solche Verfahren würden zum Problem, „wenn die Krise zum Dauerzustand wird“. Veen forderte eine Stärkung der Parlamente und mehr parlamentarische Beratungen. Für „ausgemachten Unsinn“ hält er Bestrebungen, die gewählten Volksvertretungen durch Bürgerräte und andere Parallelinstitutionen weiter zu schwächen.

Als zweiten Punkt griff Veen den Föderalismus heraus. Gegen die Übermacht Preußens im Deutschen Reich habe Windthorst die Rolle der Länder betont. Heute seien Bund und Länder eng verzahnt, ein übermächtiges Bundesland gebe es nicht. Veen lobte den Förderalismus, der die kulturellen Eigenarten der deutschen Regionen berücksichtigen könne. Doch immer wieder wird über die Zahl der Bundesländer, insbesondere die Existenz der Stadtstaaten, diskutiert. Dies vor allem im Hinblick auf den Länderfinanzausgleich, in dem vor allem Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg mit ihrem Geld schwächere Länder unterstützen. Für Veen ist die Frage nach der Zahl der Bundesländer zweitrangig. Wichtig sei vielmehr, den Länderfinanzausgleich zu reformieren, die Zahlungen zum Beispiel an Zielvereinbarungen oder Strukturreformen zu koppeln. Schon aus eigenem Interesse sollten kleinere Bundesländer mit Nachbarländern kooperieren, um Geld zu sparen.

Als dritten Punkt sprach Veen das Verhältnis von Kirche und Staat an. Windthorst sei ein Verfechter der Religionsfreiheit gewesen und habe sich gegen jeden Eingriff des Staates in kirchliche Angelegenheiten ausgesprochen. Als aktuelle Frage sprach Veen den Status der Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts an. Dieser sei „ein historisches Arrangement zwischen Staat und Kirche, um die Unabhängigkeit der Kirche zu sichern“. Doch angesichts einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft werde dieser Status auch „immer häufiger als anachronistisch empfunden“. Veen stellte die Frage, „was tut die Kirche, um diesen Status zu erhalten?“ Auf Dauer werde dies nur gelingen, wenn er nicht nur einseitig interpretiert werde. Im Klartext: Die Kirchen dürfen aus diesem Status nicht nur Rechte, sondern müssten auch Pflichten ableiten. Dazu gehört für Veen, die allgemeine Gesetzgebung zum Maßstab des eigenen Handelns zu erheben. Dies gelte etwa für das kirchliche Arbeitsrecht oder für den Umgang mit Missbrauchsfällen. Mit der Aufarbeitung dieser Taten tue sich die Kirche immer noch schwer, was etwa Transparenz und Informationen sowie die Höhe von Schmerzensgeldzahlungen angehe.