Finnland: Ein von Vertrauen geprägtes Bildungssystem

Erasmus+ ermöglicht Bildungspersonal einen Blick über den eigenen Tellerrand. Aktuell ist eine Gruppe von 21 Lehrkräften und Schulleitungen verschiedener Schulen und Schulformen aus Niedersachsen zu Besuch im hohen Norden. Im Rahmen des europäischen Bildungsprogramms Erasmus+ werden verschiedene Bildungseinrichtungen in Oulu besucht und der Austausch mit den dortigen Kolleg*innen ermöglicht.

Obwohl Finnland nicht mehr zu den PISA-Gewinnern zählt, ist ein Einblick in das Schulsystem aus deutscher Sicht beeindruckend: Das finnische Bildungssystem ist weiterhin sehr gut und Finnland schneidet im Vergleich zu Deutschland in allen Bereichen deutlich besser ab. Auffällig ist die pädagogisch durchdachte Architektur der Lernhäuser, die Ruhe ausstrahlen und gleichzeitig zum Lernen animieren. Funktionale und ästhetisch ansprechende Raumarrangements und Lerneinrichtungen drücken eine Wertschätzung gegenüber den Schüler*innen und den in Schule arbeitenden Personen aus.

Insbesondere in den Bereichen der Förderung und Unterstützung ist Finnland im europäischen Vergleich weiterhin Spitzenreiter. Finnland hat ein engmaschiges Auffangnetz, welches Lernenden kurzfristige Unterstützung ohne aufwendige bürokratische Hürden bietet. So kann ein Lernender beispielsweise so lange eine parallele Kleingruppe in der Schule besuchen, bis er dem Unterricht in der Klasse ohne Schwierigkeiten wieder folgen kann. „Niemand wird zurückgelassen“ ist das Credo der finnischen Bildung – dies gilt für alle Schüler*innen. So finden sich Lerntherapeuten oder Lernbegleiter in allen Schulformen und können auch bei kurzfristigen Lerndefiziten, zum Beispiel nach Krankheit oder Verständnisschwierigkeiten, in Anspruch genommen werden. Chancengleichheit ist eine der wichtigsten Säulen in der finnischen Bildung und in der finnischen Gesellschaft. Schulischer Erfolg hängt nicht vom sozialen Status oder vom Bildungsgrad der Eltern ab. Das finnische Bildungssystem setzt auf Unterstützung und nicht auf Auslese.

Vertrauen und Verantwortung sind die beiden weiteren wichtigen Säulen des finnischen Bildungssystems. Die finnische Bevölkerung hat großes Vertrauen in die öffentlichen Schulen, in das Handeln der Lehrkräfte und in die Eigenverantwortlichkeit der Lernenden. Die finnischen Schulen haben bei der Umsetzung der Lehrpläne große Freiheiten. So kann jede Schule über Schwerpunktsetzungen entscheiden. Zudem gibt es keine nationalen Tests, keine Schulinspektion und keine Schulaufsicht. Stattdessen erfolgt eine umfassende Unterstützung der Lehrenden durch Weiterbildung und eine hervorragende praxisnahe Ausbildung der Lehrkräfte an den Universitäten und den daran angegliederten Ausbildungsschulen.

Finnland hat keinen Lehrkräftemangel! Im Gegenteil: Der Beruf der Lehrkraft zählt zu den beliebtesten. Obwohl die Bezahlung im Gegensatz zu Deutschland deutlich geringer ausfällt, ist es schwer, einen Studienplatz zu erhalten. Das gesellschaftliche Ansehen des Berufs, die Autonomie in Unterricht und Schule und die Möglichkeit der Mitbestimmung in bildungspolitischen Entscheidungen sind vermutlich die Erfolgsfaktoren.

„Auch wenn wir diese Erkenntnisse nicht Eins zu Eins umsetzen können, so ist vieles des Gesehenen in meinen Koffer gewandert“, fasst eine Teilnehmende die Woche zusammen.