Cyberattacken, Drohnenangriffe, Desinformationskampagnen – die neue Kriegsführung kennt keine klaren Fronten mehr. „Das Völkerrecht ist für eindeutige Kategorien gemacht: Täter, Territorium, Verantwortung“, sagt Safferling. Doch hybride Strategien unterlaufen diese Logik gezielt. Die Folge: Rechtsverletzungen bleiben schwer nachweisbar, Verantwortliche schwer greifbar. „Wir wissen oft, wer es war – aber wir können es nicht beweisen“, sagt der Jurist. Das schwäche nicht die Norm, wohl aber ihre Durchsetzung. Das Fundament des Völkerrechts – die Souveränität der Staaten – geht auf den Westfälischen Frieden von 1648 zurück. Doch in einer vernetzten Welt, in der sich digitale Angriffe über Grenzen hinweg vollziehen, greife dieses Denken zu kurz. „Wir hängen geistig noch zu sehr an 1648“, so Safferling. Die Herausforderung bestehe darin, das Recht an neue Formen der Gewalt anzupassen, ohne es zu politisieren. Dafür brauche es vor allem den Willen, hybride Aggressionen als das zu benennen, was sie seien: Kriegsakte.
Der Staatsrechtler fordert mehr Selbstbewusstsein von Europa. Die in Jahrzehnten errungenen menschenrechtlichen Standards müssten verteidigt und weiterentwickelt werden. Regionalisierung sei angesichts der Krise der Vereinten Nationen derzeit zwar kein Ideal, aber der realistische Weg, um Handlungsfähigkeit zu bewahren. Mit Blick auf Deutschland appelliert er, sich „nicht länger zu verstecken“: Wirtschaftliche Stärke und stabile Institutionen verpflichteten zu Führungsbereitschaft – „wertebasiert, argumentierend, verlässlich“.
Eine neue Weltfriedensordnung sieht Safferling nicht am Horizont. Stattdessen plädiert er für ein Zwei-Ebenen-Programm: Erstens müssten Begriffe und Normen geschärft, hybride Angriffe rechtlich präzise gefasst und gemeinsame europäische Reaktionsmechanismen entwickelt werden. Zweitens brauche es stärkere Institutionen – vor allem den Internationalen Strafgerichtshof. Politische Rückendeckung und konsequente Kooperation seien unverzichtbar. Äußerungen wie jene von Friedrich Merz, der einen möglichen Deutschland-Besuch des mit Haftbefehl gesuchten israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu für möglich hielt, nennt Safferling „wenig hilfreich“.
Trotz aller Defizite bleibt der Jurist zuversichtlich: „Das Völkerrecht ist unverzichtbar – als Sprache des Ausgleichs, als Instrument der Verantwortung und als Gerüst einer Ordnung, die den Schwächeren schützt.“ Die westliche Unterstützung der Ukraine sei daher nicht nur völkerrechtlich gedeckt, sondern auch wertepolitisch geboten. Wer die europäische Friedens- und Freiheitsordnung verteidigen wolle, dürfe sich nicht hinter juristischen Formalien verstecken.
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Prof. Dr. Christoph Safferling ist ein renommierter Experte für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht. Er ist Professor an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Direktor der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien. In seinem neu erschienenen Buch „Ohnmacht des Völkerrechts – Die Rückkehr des Kriegs und der Menschheitsverbrechen“ (dtv-Verlag) zeigt er auf, wie wichtig es gerade für Deutschland ist, völkerrechtliche Standards zu wahren und eine stabile internationale Ordnung zu fördern.
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Der Podcast Friedensreiter begibt sich auf die Suche nach Wegen für den Frieden. Er stellt sich in das Zeichen der Friedensreiter, die bei den Verhandlungen zur Beendigung des 30jährigen Krieges als Vermittler zwischen den Delegationen in Münster und Osnabrück pendelten. Der Podcast ist ein Gemeinschaftsprojekt von Ludwig Windthorst-Haus (LWH), der Katholisch-sozialen Akademie des Bistums Osnabrück in Lingen, und dem Institut für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg.
Hosts sind der stellvertretende Leiter des ithf, Pfarrer Dr. Jochen Reidegeld, und LWH-Direktor Marcel Speker. Auf der Gästeliste stehen bislang renommierte Experten und Persönlichkeiten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala, der Historiker Michael Wolffsohn, die White House-Korrespondentin Juliane Schäuble, Bundespräsident a.D. Christian Wulff und der Apostolische Nuntius im Baltikum, Erzbischof Monsignore Georg Gänswein.
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