Wenn Georg Gänswein über den Krieg spricht, tut er das ohne Pathos. Seine Worte sind bedacht, sachlich – und gerade dadurch eindringlich. Seit einem Jahr ist der ehemalige Privatsekretär von Papst Benedikt XVI. Apostolischer Nuntius des Heiligen Stuhls in den baltischen Staaten. Dort, an der östlichen Grenze der Europäischen Union, erlebt er die Spannungen zwischen Russland und der NATO aus nächster Nähe. „Es ist eine atmosphärische Belastung, die das Baltikum als Ganzes umgibt“, sagt er im Gespräch.
Dass die katholische Kirche dort nur in Litauen eine Mehrheit stellt – während Estland und Lettland religiös stark säkularisiert sind – spielt für die diplomatische Arbeit des Vatikans keine entscheidende Rolle. „Ob katholisch, lutherisch, orthodox oder ungetauft – der Balte ist atmosphärisch von dieser Situation umgeben“, sagt Gänswein. „Die Angst vor einer erneuten Bedrohung durch Russland ist überall spürbar.“
Die Macht der leisen Töne
Der Schlüssel zur vatikanischen Friedensdiplomatie ist für Gänswein die moralische Autorität: „Der Vatikan ist auf ökonomischer, finanzieller und militärischer Ebene kein Player. Aber er ist eine moralische Größe – und das ist entscheidend.“ Diese moralische Autorität entfaltet sich, so der Erzbischof, vor allem in der Diskretion: „Es wird hinter den Kulissen viel mehr getan, als nach außen sichtbar wird – und auch werden soll.“ Nur im vertraulichen Gespräch, frei von Kameras und Social Media, könne man „klarer und auch kontroverser miteinander reden“.
Das diplomatische Wirken des Vatikans lebt also vom Vertrauen. Gänswein beschreibt die Arbeit eines Nuntius als „feines Netzwerk“, das Informationen und Eindrücke aus allen Teilen der Welt an die Zentrale im Vatikan liefert – und zugleich Weisungen des Papstes übermittelt.
Frieden, statt gerechter Krieg
Ein Schwerpunkt des Gesprächs gilt der Friedensethik der Kirche. Papst Franziskus hatte den Begriff des „gerechten Krieges“ aus der katholischen Soziallehre gestrichen. Gänswein begrüßt diesen Schritt – er sieht darin einen notwendigen Wandel. „Es ist heute fast nicht mehr möglich, von einem gerechten Krieg zu sprechen“, sagt er. „Natürlich hat ein Volk, das angegriffen wird, das Recht auf Verteidigung. Aber Probleme liegen im Detail: Wie weit darf ich Mittel anwenden, um diesen gerechten Grund gerecht bleiben zu lassen?“
Damit schließt sich Gänswein einem Denken an, das im Vatikan seit Jahrzehnten wächst: Frieden als aktives, ethisches Projekt – nicht bloß als Abwesenheit von Krieg. Der Erzbischof verweist darauf, dass die Kirche in ihrer weltweiten Präsenz – durch Diözesen, Orden und Hilfswerke – ein einzigartiges Netzwerk besitzt, das Friedensarbeit vor Ort ermöglicht. „Es gibt keine Institution, die so tief vernetzt ist wie die katholische Kirche“, sagt er.
Von Benedikt zu Franziskus – und jetzt Leo XIV.
Gänswein kennt die Päpste der letzten Jahrzehnte aus unmittelbarer Nähe. Auf die Frage, ob die Friedensdiplomatie unter Papst Leo XIV. – dem Nachfolger von Franziskus – eine neue Bedeutung bekomme, antwortet er ohne Zögern: „Die Frage nach dem Frieden war immer Chefsache. Jeder Papst ist ein Vertreter des Friedens – aber jeder auf seine Weise.“
Benedikt XVI. habe das Thema theologisch-reflektiert betrachtet, Franziskus unmittelbarer und menschennah. „Und Leo XIV.“, so Gänswein, „setzt in seiner Rhetorik von Anfang an ein klares Zeichen. Sein erster Satz auf der Loggia war der Friedensgruß des Auferstandenen. Das war programmatisch.“
Religion zwischen Konflikt und Versöhnung
Mit Blick auf die Rolle der Religion im Krieg, macht Gänswein deutlich, dass der russische Angriff auf die Ukraine kein genuin religiöser Konflikt sei – doch Religion werde instrumentalisiert. „Es ist ein Skandal, dass Christen gegen Christen kämpfen“, sagt er mit Blick auf die russische Orthodoxie.
Das ganze Gespräch gibt es auf YouTube (https://youtu.be/jsQcYHJzblc) oder allen gängigen Audio-Podcastportalen (www.linktr.ee/friedensreiter).
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Der Podcast Friedensreiter begibt sich auf die Suche nach Wegen für den Frieden. Er stellt sich in das Zeichen der Friedensreiter, die bei den Verhandlungen zur Beendigung des 30jährigen Krieges als Vermittler zwischen den Delegationen in Münster und Osnabrück pendelten. Der Podcast ist ein Gemeinschaftsprojekt von Ludwig Windthorst-Haus (LWH), der Katholisch-sozialen Akademie des Bistums Osnabrück in Lingen, und dem Institut für Theologie und Frieden (ithf) in Hamburg.
Hosts sind der stellvertretende Leiter des ithf, Pfarrer Dr. Jochen Reidegeld, und LWH-Direktor Marcel Speker. Auf der Gästeliste stehen bislang renommierte Experten und Persönlichkeiten wie der Politikwissenschaftler Carlo Masala, der Historiker Michael Wolffsohn, die White House-Korrespondentin Juliane Schäuble und Bundespräsident a.D. Christian Wulff.
Friedensreiter gibt es als Videopodcast auf YouTube oder auf allen gängigen Audio-Podcast-Portalen. Die Links dazu gibt es auf: www.linktr.ee/friedensreiter
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