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Bischof Bätzing warnt vor Vertrauenskrise in Staat, Kirche und Gesellschaft

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat beim St. Michael-Empfang des Kommissariats der deutschen Bischöfe in Berlin vor einer tiefgreifenden Vertrauenskrise in Kirche, Politik und Gesellschaft gewarnt. Der Limburger Bischof sprach von einem „Zufriedenheitsparadox“: Während die meisten Deutschen sich persönlich zufrieden zeigten, wüchsen Misstrauen und Gereiztheit im öffentlichen Klima.

„Wir genießen Frieden und Freiheit und richten uns zugleich in einem kollektiven Tonfall der Unzufriedenheit ein“, sagte Bätzing vor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und weiteren Spitzenvertretern aus Politik und Kirche. Vertrauen sei, so der Bischof, für die Gesellschaft wichtig „wie die Luft zum Atmen“. Das Misstrauen gegenüber Institutionen sei in diesem Sinn ein Indiz dafür, dass der Gesellschaft “die Puste ausgeht”. Auch LWH-Direktor Marcel Speker war in seiner Funktion als Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft katholisch-sozialer Bildungswerke (AKSB) unter den geladenen Gästen.

Vertrauen gründe sich heute nicht mehr auf Zugehörigkeit, sondern auf Leistung und Erfahrung, sagte Bätzing. „Ich vertraue einer Kirche nicht weil ich ihr angehöre, sondern weil sie erfüllt, was ihre Aufgabe ist.“ Der frühere Vertrauensvorschuss sei angesichts von Machtmissbrauch und Skandalen aufgebraucht. Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sei zum Prüfstein kirchlicher Glaubwürdigkeit geworden.

Gleichzeitig erinnerte Bätzing an den Jesuiten Alfred Delp, der 1945 schrieb, die Kirche habe durch ihr eigenes Verhalten das Vertrauen der Menschen verloren. Der Weg aus dieser Krise liege im „Dienst am Menschen“ – einem Grundmotiv, das die Kirche neu entdecken müsse. Er betonte, die Kirche habe nur dann eine Berechtigung, wenn sie das Evangelium von der Freiheit in Christus glaubwürdig vertrete. In einer säkularen Gesellschaft müsse sie sich als Partnerin „von Menschen guten Willens“ verstehen und gemeinsam mit anderen für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung eintreten.

Mit Blick auf den gesellschaftlichen Zustand warnte er vor einer zunehmenden Beschleunigung und Aggressivität im öffentlichen Diskurs. Der Soziologe Hartmut Rosa habe dies als „rasenden Stillstand“ beschrieben: „Wir rasen und werden getrieben und kommen doch nicht voran.“ Zum Martinstag erinnerte Bätzing an den Heiligen Martin als Vorbild einer Haltung, die Glauben und Einsatz für Gerechtigkeit verbindet. „Die Kirche tritt nicht als Störenfried auf“, sagte er, „sondern weil uns das Evangelium aufträgt, für Frieden und Verständigung einzutreten.“

In Anwesenheit von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die sich vor einigen Monaten kritisch dazu geäußert hatte, dass sich die Kirchen zu politischen Themen äußern, machte Bätzing deutlich, dass Kirche das auch weiterhin tun werde, ja, müsse: “In den grundlegenden Debatten des gesellschaftlichen Diskurses und den sich daraus ergebenden Gesetzesinitiativen wird man auch heute mit Stimmen aus dem Raum der Kirche rechnen müssen. Nicht, weil wir besondere Freude daran hätten, als Störenfriede aufzutreten, sondern weil uns durch das Evangelium aufgetragen ist, für Frieden und Verständigung zu streiten und dabei möglichst viele Menschen einzubeziehen, gerade auch diejenigen, die nicht für sich selber sprechen können oder am Rande stehen.”

 

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