Sie stieg auch gleich mit einem plastischen Bild in die Veranstaltung ein. Ermer benutzt den „Truthahn-Index“ als augenzwinkernde Messgröße für politische Zerwürfnisse in Familien: In den USA dauern Thanksgiving-Essen von politisch gemischten Verwandtschaften messbar kürzer als die von Familien, in denen es keine politischen Differenzen gibt – 2015 um rund 30–50 Minuten, bei einer durchschnittlichen Essensdauer von 257 Minuten. Im aufgeheizten Wahljahr 2016 verdreifachte sich dieser Unterschied. Viele blieben den Feiern ganz fern. Hochgerechnet gingen so etwa 34 Millionen Stunden „Truthahnzeit“ verloren – ein pointiertes Bild dafür, wie sehr Politik private Beziehungen belastet.
Schon in den ersten Minuten steckt Lara Ermer ihr Terrain ab: Sie duzt das Publikum, nimmt die eigene „Berufskrankheit“ Comedy auf die Schippe – und macht klar, dass es an diesem Abend um ernste Inhalte in leichtem Ton geht. Ihr Buch „Alle gegen alle“ sei „absichtlich witzig“, zugleich aber „vollständig wissenschaftlich basiert“. Mehr als 1.000 Studien habe sie gelesen, 245 davon zitiert, sagt sie. Der Applaus ist da, das Lachen auch – und genau diesen Doppelklang zieht Ermer konsequent durch.
Ein zentrales Motiv der Lesung: Deutschland sei in Sachfragen weniger polarisiert, als es die Schlagworte vermuten lassen. Sozialwissenschaftliche Befunde deuteten darauf, dass sich viele Menschen in moderaten Positionen wiederfinden. Zunehme hingegen die “affektive Polarisierung” – das Bauchgefühl, Andersdenkende abzulehnen. Verstärkt werde das durch das anhaltende Gefühl permanenter Lagerbildung und durch den Stress, den tägliche Nachrichten auslösen.
Ermer führt das Publikum mit großem Spielwitz an kognitive Verzerrungen heran. Sie zitiert den „Better-than-average“-Effekt: „Der durchschnittliche Mensch hält sich in allem für überdurchschnittlich – auch in Debatten.“ und sie verweist auf den IKEA-Effekt. Der besagt, dass Menschen das, was sie sich „selbst zusammenrecherchiert“ haben, für wahrer halten – ein Mechanismus, den Desinformationsmilieus gezielt ausnutzen („Do your own research“). Dazu kommen Gruppendynamiken, die selbst willkürlich gebildete Lager schnell verhärten lassen – Ermer erinnert an klassische Experimente, in denen schon minimale Trennlinien Feindbilder erzeugen.
Als Comedian plädiert Ermer für Humor als „letzten Griff in die Trickkiste“, warnt aber vor Nebenwirkungen. Sexistische oder rassistische Witze können messbar Leistungen beeinträchtigen oder Vorurteile verhärten. Andererseits zeigt Forschung, dass klug eingesetzte Satire politische Apathie aufbrechen kann. Für Wissenschaftskommunikation gelte: Witz öffnet Türen – die Glaubwürdigkeit muss trotzdem stimmen.
Ermer erzählt offen von ihrem Weg: Psychologie-Abschluss, dann Comedy – „meine Familie war so mittelbegeistert“. Genau diese Doppelqualifikation trägt den Abend: pointierte Alltagsbeobachtungen, dicht an Studien, aber nie trocken.
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