In seinem Vortrag stellte Professor El-Mafaalani von der TU Dortmund sehr eindrucksvoll dar, warum Kinder eine Minderheit in Deutschland darstellen, die politisch und gesellschaftlich ohne ausreichenden Schutz dasteht. Mit aktuellen Forschungsergebnissen belegte er seine Ausführungen auf nachvollziehbare Weise und schaffte es, komplexe soziologische Zusammenhänge für alle Zuhörer*innen greifbar zu machen.
El-Mafaalani verdeutlichte anhand aktueller demografischer Daten, dass Deutschland an einem Wendepunkt steht: Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Rentenalter, während die junge Generation, die demnächst Verantwortung übernehmen soll, zahlenmäßig eine Minderheit darstellt. Noch gravierender: Eltern von minderjährigen Kindern werden zu einer Minderheit unter den Wahlberechtigten – mit weitreichenden Folgen für politische Entscheidungen und gesellschaftliche Prioritätensetzungen.
Konkrete Beispiele aus der Forschung
Besonders eindrücklich machte El-Mafaalani seine Analyse am Beispiel des Geburtsjahrgangs 2007, der im Jahr 2025 volljährig wird. An diesem Jahrgang lässt sich exemplarisch ablesen, wie tiefgreifend gesellschaftliche Krisen die gesamte Kindheit und Jugend prägen – und zwar klassenunabhängig. Diese Generation erlebte:
- Die Finanzkrise 2008/2009 in ihren frühesten Lebensjahren
- Die Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 im Grundschulalter
- Die Corona-Pandemie während entscheidender Schuljahre
- Die Klimakrise als Dauerbedrohung ihrer Zukunft
- Kriege in Europa und weltweite geopolitische Unsicherheiten
El-Mafaalani zeigte auf, dass für diese Generation der Krisenzustand zum Normalzustand geworden ist. Das erzeugt ein Gefühl permanenter Orientierungslosigkeit und das Empfinden, dass "nichts richtig funktioniert" – mit potenziell gravierenden Folgen für die gesellschaftliche Entwicklung.
Strukturelle Außenseiterposition von Kindern
Ein weiterer zentraler Punkt des Vortrags war die Analyse, dass Kinder strukturelle Außenseiter in allen gesellschaftlichen Systemen sind. Sie kommen in Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen kaum vor – außer in der Familie und in speziell für sie geschaffenen "Sonderwelten" wie Kitas und Schulen. Diese Institutionen müssen heute jedoch nicht nur Migration, Digitalisierung und Kinderarmut bewältigen, sondern zunehmend auch Teile des Familienlebens ersetzen statt nur zu ergänzen. Für diese veränderten Anforderungen, so El-Mafaalani, sind sie strukturell nicht ausreichend aufgestellt.
Lebhafte Diskussion
Im Anschluss an den Vortrag moderierte Judith Hilmes die lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Die intensive Auseinandersetzung zeigte, wie sehr das Thema die verschiedenen Zielgruppen bewegt – von den pädagogischen Fachkräften, die täglich mit den beschriebenen Herausforderungen konfrontiert sind, bis zu den Großeltern, die sich um die Zukunft ihrer Enkel sorgen.
Der Akademieabend hat eindrücklich gezeigt, wie wichtig es ist, Kinder und ihre Bedürfnisse ins Zentrum des gesellschaftlichen und politischen Denkens zu rücken – nicht nur als moralische Verpflichtung, sondern als essenzielle Notwendigkeit für eine lebenswerte Zukunft. Die große Resonanz und das vielfältige Publikum unterstreichen, dass dieses Anliegen weit über Fachkreise hinaus Aufmerksamkeit findet und als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden wird. Es ist zukunftsweisend, dass die Stadt Lingen sich mit diesem Akademieabend positiv in dieser wichtigen gesellschaftlichen Diskussion positioniert hat.
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