Ministerpräsident Weil: Windthorst ist Vorbild

"Viele Jugendliche sind skeptisch, angesichts der großen Veränderungen und Krisen. Ihnen ist die "You can change the world"-Überzeugung abhanden gekommen. Deswegen müssen junge Leute im Rahmen von politischer Bildung die Erfahrung machen, dass sie Dinge bewegen können." - Ministerpräsident Stephan Weil machte bei seiner Rede auf der Jahrestagung der Ludwig-Windthorst-Stiftung zum Thema "Bildung hält die Gesellschaft zusammen" deutlich, dass eine Werteorientierung auf Basis des Grundgesetzes für ihn Grundlage für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei.

In seiner Begrüßung hatte zuvor der Stiftungs-Vorsitzende, Christian Fühner MdL, die Bedeutung eines gesellschaftlichen Konsenses gerade vor dem Hintergrund der vielfältigen Herausforderungen der vergangenen Jahre deutlich gemacht. Weil bestätigte das und sprach von einer Konfrontation der Gesellschaft mit beispiellos tiefgreifenden Veränderungen auf verschiedenen Ebenen die in einer ebenfalls beispiellosen Geschwindigkeit auftreten und sich vollziehen. Als Beispiel nannte er sowohl externe Faktoren, wie Corona, den Krieg in der Ukraine und die globalen Unsicherheiten als auch gesellschaftliche Umwälzungen, die sich durch technische Neuerungen ergeben. "Die Digitalisierung ist eine Kommunikationsrevolution, auf die wir reagieren müssen. Stattdessen versuchen wir aber an vielen Stellen noch mit den Instrumenten von gestern die Kommunikation von heute zu beeinflussen", so Weil.

Die Friedrich-Ebert-Stiftung legte vor einigen Wochen eine Studie vor, nach der Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und die Ablehnung der Demokratie in den vergangenen Jahren zugenommen habe. Weil sprach in diesem Zusammenhang von einer "europaweiten, ja internationalen Entwicklung", räumte aber auch hausgemachte Fehler ein, die die Demokratie in schweres Wasser bringe. So forderte er "eine bessere Politik" und erläuterte in der kurzen Talkrunde mit dem Direktor des Ludwig-Windthorst-Hauses, Marcel Speker, auf Nachfrage, was er damit meint: "Das Heizungsgesetz ist ein prägnantes Beispiel, wie man es nicht machen darf. In der Sache völlig richtig, aber in der Umsetzung ist so viel falsch gelaufen, dass es die Menschen vom politischen Prozess eher abschreckt." Ebenso mahnte er die Politik insgesamt die Auseinandersetzung in der Sache, aber nicht persönlich zu führen. Ludwig Windthorst sei, so Weil, ein Vorbild dafür, wie die gepflegte politische Streitkultur aussehen könne. Es sei bemerkenswert, dass Windthorst diesen Ruf als engagierter Parlamentarier und Streiter für Recht und Gleichberechtigung habe, obwohl er große Teile seines politischen Lebens in der Opposition verbracht habe und eben nicht aktiv gestalten konnte. 

Der Ministerpräsident verwies auf das Grundgesetz welches insbesondere mit dem ersten Artikel und dem Bekenntnis zur Unantastbarkeit der Menschenwürde und seiner Balance zwischen persönlicher Freiheit und berechtigtem Interesse der Gemeinschaft eine klare Richtschnur für das gesellschaftliche Zusammenleben in Deutschland darstelle - gerade auch mit Blick auf Fremdenfeindlichkeits- und Antisemitismustendenzen. "Ich stehe in der Fankurve unserer Verfassung", machte Weil unmissverständlich deutlich.  

Nach der Rede des Ministerpräsidenten trafen Weihbischof Johannes Wübbe, Elisabeth Lis, Michael Brendel und Christian Fühner zu einer von Marcel Speker moderierten Talkrunde auf der Bühne zusammen, in der es um die Möglichkeiten ging, Partizipation unter Jugendlichen in Gesellschaft und Kirche zu fördern. Die Erkenntnisse aus dieser Runde waren im Kern: Partizipation findet heute anders statt, als noch vor einigen Jahren. Die persönliche Ansprache bleibt zur Aktivierung junger Menschen nach wie vor wichtig. Und: So viel schlechter als "früher" ist es aktuell eigentlich gar nicht. Dennoch bleibt politische Bildung als Aufgabe dringlich bestehen.