"Traditionelle Denkweise" erschwert den Diözesanen Schutzprozess

Die Fälle von sexuellen Übergriffen durch Kleriker beherrschen immer noch die Wahrnehmung der Kirche. Im Bistum Osnabrück hat man versucht mit dem sogenannten "Diözesanen Schutzprozess " organisatorisch darauf zu reagieren. Dieser Prozess sollte nun einer Zwischenbilanz unterzogen werden. Deswegen fand jetzt im Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen ein Akademieabend zum Diözesanen Schutzprozess mit dem Titel „Gegen sexualisierte Gewalt und geistlichen Missbrauch“ statt, an dem mehr als 60 Personen teilnahmen.

Das Ergbnis der Veranstaltungen machte durchaus Mut: Der Prozess an sich wurde als vorbildich beschrieben. Lediglich einzelne handelnde Personen waren mit der konsequenten Umsetzung des Prozesses und der unbedingten Konzentration auf die Opfer, statt auf die Täter, überfordert. So kam es zu Situationen, wie die beiden Vertreter der Betroffenen, Ilona Düing und Norbert Thewes eindrücklich schilderten, die alle Zuhörenden nur mit dem Kopf schütteln ließen. So beispielsweise die Frage an ein Opfer, ob der suspendierte Täter denn vielleicht wieder die Orgel in der Gemeinde spielen dürfe, weil ihm die Decke auf den Kopf falle.

Mit Pater Hans Zollner SJ, Direktor des Instituts für Anthropologie an der päpstlichen Universität Gregoriana, konnte ein ausgewiesener und aerkannter Experte zu diesem Thema live aus dem Vatikan zugeschaltet werden. In seinem einleitenden Vortrag machte er deutlich, dass "sexualisierte Gewalt im kirchlichen Kontext ist ein allgemeines Problem“ sei. Prozesse würden sich dabei ähneln. Verleugnung, Versetzung oder Verweigerung seien weltweit zu beobachten. Pater Zollner nannte dazu den Begriff der „double crises“: Einerseits durch die Missbrauchsfälle selbst, andererseits durch das schwindende Vertrauen in die Kirchenführung. Es ändere sich zu wenig zu langsam, so Pater Zollner. Es müsse zu einer Mentalitäts- sowie Handlungsänderung kommen.

Der Umgang mit Betroffenen stelle die Institutionen vor die Herausforderung der unterschiedlichen Erwartungen einzelner Betroffener. Pater Zollner ging ebenso auf unterschiedliche Auffassungen ein, was unter der Aufklärung und der Aufarbeitung, die von der Kirche verlangt wird, verstanden und erwartete werde. Die entstehende Diskrepanz zwischen den Handlungserwartungen stelle die katholische Kirche ebenfalls vor Herausforderungen. Pater Zollner appellierte an alle in der Kirche, sich einzubringen: „Jeder und jede kann etwas tun, an der Stelle, an der er oder sie ist.“

Dr. Thomas Veen, Sprecher der Monitoring-Gruppe im Diözesanen Schutzprozess, hatte zuvor die Abläufe und Mechanismen des Prozesses vorgestellt. Es gehe um Prävention und Intervention. Wichtig sei die Begleitung Betroffener, aber auch der Umgang mit Tätern. Es werde unabhängig von kirchlichen Institutionen gearbeitet, sodass der Verdacht einer möglichen Vertuschung unbegründet sei. Bei einer Fallmeldung kümmere sich die Koordinationsinstanz um die weiteren Schritte. Dazu gehöre die Koordination von Gesprächen mit Betroffenen, der Umgang mit Beschuldigten sowie welche Maßnahmen getroffen werden, so Dr. Veen. Die Koordinationsinstanz aktiviere dann die spezialisierten Gruppierungen des Schutzprozesses. Transparenz spiele eine große Rolle. Die Organisation der einzelnen Gruppierungen erlaube außerdem eine bessere Kontrolle einzelner Handlungsmaßnahmen. Was den Schutzprozess willentlich oder unwillentlich behindere seien die traditionellen Denkweisen der kirchlichen Institutionen. „Es ist noch ein weiter Weg zu gehen“, so Dr. Veen, „Die Kirche hat Schwierigkeiten sich in normative Zusammenhänge zu denken.“ Es werde für die Kirche „zu juristisch“ gedacht.

Es gebe, so wurde zudem in der anschließenden Podiumsdiskussion deutlich, auch das falsche Verständnis innerhalb der Kirche, dass Institution und Täter ihrerseits geschützt werden müssten. Thilo Wilhelm, Personalreferent im Bistum, stimmt der Einschätzung der Runde von einem „falsch verstandenen Korpsgeist“ zu. Die „Seilschaften“ beschränken sich nach der Erfahrung von Zollner aber nicht nur auf Priester, sondern betreffen auch andere Akteure in der Kirche.

(Text: Miriam Wesner, FSJ Politik im LWH)

 

Auch der Kirchenbote berichtete über diesen LWH-Akademieabend.